Der Pensionseid

Eine Manöver-Humoreske von Teo von Torn.
in: „New Orleans Deutsche Zeitung” vom 28.09.1902


Baron Ernst von Edem hatte erst vor zehn Wochen die reizende, rundliche, kleine Magda Bornstadde heimgeführt. Trotzdem fand das junge Paar seit gestern keine Zeit, sich öfter als alle halbe Stunden einen Kuß zu geben.

Unverständige Leute werden sagen, daß das genug sei — selbst für die Flitterwochen. Aber diese Leute haben eben keine Ahnung, wie verliebt die beiden in einander waren und welche Opfer sie gebracht hatten, um sich anzugehören. Der Baron hatte die flotte Ulanka mit einer grünen Lodenjoppe vertauscht, um die Bewirthschaftung seines Poltower Majorats selbst zu übernehmen, und die kleine Baronin hatte es sogar auf einen Eidbruch ankommen lassen.

Es bestand nämlich zwischen ihr und Maria von Kaßhagen ein in der Pension geschworener, schwerer Schwur, niemals zu heirathen. Niemals! Sollte sich das aber doch absolut nicht umgehen lassen, so war eine Eventual­bestimmung in Kraft, nach welcher Maria und Magdalena nur zusammen heirathen durften — wenn auch nicht denselben Mann, so doch zur nämlichen Stunde, in derselben Kirche und angethan mit einem Brautstaat, welcher sich in nichts von dem anderen unterscheiden durfte. Die Hochzeitsreise sollte gemeinsam unternommen werden, selbstverständlich nach Italien — und mehr als fünf Kinder durfte keines haben, bei Strafe von einem Pfund Chokolade für jeden Kontraventionsfall. Das alles war beschworen und außerdem in den beiden verschließbaren Tagebüchern urkundlich festgelegt.

Bekanntlich aber kommt es auch in den abgemachtesten Dingen erstens immer anders und zweitens wie man denkt. Kaum ein Jahr später war Komtesse Magda Bornstade eine sonnig glückliche Baronin Edem. Und da nichts so vergeßlich macht als Glück, hätte sie sich der verschiedenen Eidbrüche überhaupt nicht mehr erinnert, wenn nicht der bevorstehende Besuch der Freundin ihr alle diese ernsten Dinge wieder ins Gedächtniß zurückgerufen hätte.

Vor wenigen Minuten hatte ihr der General von Kaßhagen, welcher seit gestern mit dem gesammten Stabe auf Schloß Poltow in Quartier lag, den Besuch seiner Tochter Maria angemeldet.

Die kleine Baronin suchte zwischen Jauchzen und Thränen nach ihrem Gatten. Sie hatte ja keine Ahnung, wie man sich zu verhalten hatte, wenn man einen Schwur gebrochen — und noch dazu einem so lieben, herzigen Wesen gegenüber wie Maria Kaßhagen!

Dazu fiel ihr besomders schwer auf die Seele, daß die Freundin sich durch den dummen Schwur anscheinend noch gebunden fühlte; denn sie war doch fast ein halbes Jahr älter, und noch immer hörte man nichts von einer Verlobung oder von etwas, das dazu führen konnte. Herr von Edem trat eben aus seinem Zimmer. Auf beiden Armen balancirte er einen kleinen Thurm von Cigarrenkisten, und er ging so vorsichtig zu Werke, daß er das Jongleur­kunststück versuchte, die Thür hinter sich nur mit geschickter Benutzung des Ellenbogens zu schließen. Das wäre ihm auch sicher gelungen, wenn nicht eine andere elementare Gewalt alle Vorsicht zu nichte gemacht und den schwanken Bau von Kisten und Kistchen zu Falle gebracht hätte.

„Ach Ernst! Ernst!” lachte und schluchzte Frau Magda am Halse ihres Gatten. „Ist es nicht schrecklich? Ich bin zu glücklich. Denke Dir, Maria kommt — in ein paar Stunden ist sie da!”

Herr von Edem sah traurig auf die wüst durcheinander gewürfelten Sorten seiner besten Cigarren und erwiderte, nicht ganz bei der Sache:

„So — na, das ist ja sehr lieb von Maria. Aber wer ist den eigentlich Maria, mein Fischchen?”

„Aber Ernst? Du kennst Maria von Kaßhagen nicht? Meine beste Freundin? Die Tochter unseres Generals?”

„Natürlich! Wo werde ich Maria nicht kennen. Gott segne ihren Eingang — auf daß unser Haus voll werde. Wenn du mir jetzt nur sagen wolltest, Puppchen, wie ich die Bock und die Henry Clay auseinanderkennen soll!”

„Ach, laß doch die dummen Cigarren, Ernst, ich habe Maria geschworen, nicht zu heirathen.”

„Hast du? Na, dann ist es halt eben anders gekommen. Das ist doch sehr einfach.”

„Geschworen — du!”

„Und wenn schon. Ich werde bezeugen, daß du gar nicht gewollt hast, daß ich dich geraubt oder sonst wie gezwungen habe, und daß du es nie wieder thun wirst —”

„Ach, du — du!”

Der Baron klaubte in aller Eile seine Cigarren zusammen.

&bdquo,Uebrigens — was ich sagen wollte, kleiner Fisch,” bemerkte er zwischendurch, „ich müßte mich sehr irren, wenn ich den Namen deiner Freundin heute nicht schon einmal gehört hätte — warte 'mal, wie war das doch! Ja, richtig — Fritz Bensberg sprach von ihr, und so rührsam und beweglich wie ein krankes Huhn. Ist sonst ger nicht seine Art —”

„Bensberg? Der tolle Bensberg!?”

„Ganz richtig. Aber er kam mir merkwürdig zahm vor, wie gesagt. Und eben fällt mir ein — er wußte auch schon, daß Frl. von Kaßhagen hierher kommen würde. Wie mag er das wohl so schnell erfahren haben?`”

„Er wußte?” fragte die Baronin, aufs Lebhafteste interessirt. „Aber so erzähle doch, Mann, was sagte er noch?”

„Das weiß ich nicht, mein Puppchen. Es war ganz was Pflaumenweiches. Und für Lyrik habe ich gar kein Gedächtniß. Etwas von Todtschießen und dergleichen war auch dabei. Ich muß gestehen, ich habe gar nicht richtig hingehört. Kurz vorher hatte mir der General mitgetheilt, daß ich das heutige Nachtmanöver in seiner Suite mitmachen dürfe. Da war ich ganz närrisch vor Freude und habe an gar nichts anderes denken mögen.”

„Ernst! An — nichts — anderes — denken — mögen!? Du hast an mich nicht gedacht, Ernst!?”

„Aber wo werde ich an dich nicht denken, kleiner Fisch! Natürlich denke ich an dich — immerlos! Erlaube 'mal einen Augenblick, du sitzt da noch auf einigen Cigarren. Du weißt, wie ich mit Leib und Seele Soldat war — und nun aus freier Hand so eine Uebung mitmachen zu dürfen, so eine — — herrjeh, du heulst ja, kleiner Fisch!”

Herr von Edem erhob sich und richtete die Schluchzende zärtlich auf.

„Du liebst mich nich!” stieß sie hervor. „Niemals hast du mich geliebt! Und ich verdiene auch nichts anderes. Das ist die gerechte Strafe für den Schwur, den ich nicht gehalten habe — und geschossen wird bei einer solchen Uebung auch — und dann bist du todt— und — und ich auch — und das überlebe ich nicht!”

„Tete — wie kannst du nur so daherreden, Puppchen. Es wird doch nur mit Platzpatronen geschossen, und da kann man die Hand vorhalten, ohne daß es einem 'was thut. Sei gut, Kleine! Ich freue mich doch so sehr darauf. Du hast ja auch deine Freundin — und in den ersten Morgenstunden bin ich wieder da.”

„Ist das auch ganz gewiß, Ernst?”

„Ganz gewiß.”

„Und du wirst nicht todtgeschossen?”

„Nein. Das ist streng verboten.”

„Und ich kann dir auch 'mal schreiben?”

„Aber, Puppchen — die paar Stunden! Na, meinetwegen, wenn du willst, kannst du mir auch schreiben. Vielleicht schickt der General eine Ordonnanz zum Quartier; der kannst du dann einen Zettel mitgeben.”

„Dann ist es gut, Ernst.”

*           *           *

Generalmajor von Kaßhagen hatte seit gestern seine Brigade in der nächsten Umgebung von Groß-Poltow zusammengezogen. Es galt die Vorbereitung eines wuchtigen Flankenangriffs auf die feindliche Division — eine militärische That, welche nicht nur sozusagen das bedrohte Vaterland retten, sondern auch die Frage zur Entscheidung bringen sollte, ob der General von Kaßhagen das Talent hatte, Excellenz zu werden oder nicht.

Es war ein Uhr Nachts; die Operationen im vollen Gange. Der General hielt auf einer vom hellen Mondlicht überflutheten freien Anhöhe; mit ihm der Adjutant, ein paar Ordonnanzoffiziere und Baron von Edem — letzterer auf seinem schönsten Gaule und glückselig in seiner geliebten Ulanenuniform. er nahm sich brilliant und tadellos militärisch aus. Selbst der knurrige General hatte ihm daraufhin ein paar freundliche Worte gesagt.

Leider hielt die gnädige Stimmung des hohen Herrn nicht lange an. Unentwegt spähte er durch seinen Feldstecher nach den Meldereitern aus. Von Zeit zu Zeit schwirrte einer an — wie der Teufel auf Gummirädern.

Aber der Meldungen waren nicht genug. Um den Gang der Aktion in der Hand zu behalten, mußte der General mehr wissen — namentlich von dem weit hinter Schloß Poltrow vorgeschobenen äußersten Flügel seiner Truppen. Da lag die Entscheidung. Wenn der Flußübergang nicht rechtzeitig besetzt wurde, dann war alles aus.

Minute um Minute verstrich. — Nichts.

General von Kaßhagen war bereits derart nervös, daß er von seiner Rosinante klettern wollte. Im Stehen konnte er nämlich bedeutend besser und erleichternd fluchen, als im Sitzen.

Da — endlich!

„Wo kommen Sie jetzt her!” pfiff der alte Herr den Meldereiter an, ehe dieser den schäumenden Gaul noch parirt hatte.

„Zu Befehl, Herr General! Direkt mit Meldung von Herrn Oberst von Bloch. Wurde leider bei Schloß Poltow zwei Minuten aufgehalten —”

„Aufgehalten? Haben Sie da zur Nacht gespeist oder sind Sie verrückt geworden, Herr!?” rief der General, indem er dem Reiter das Couvert aus der Hand riß. „Und wer hat Sie aufgehalten?”

„Ein äußerst dringendes Schreiben an einen Herrn Offizier in der Suite des Herrn Generals wurde mir übergeben — an Herrn Baron von Edem.”

„So — so — ” machte der Kommandirende, was ungefähr so klang wie: Das hat man davon!

Wenn der General vorhin aus Nervosität vom Pferde steigen wollte, so wäre der Baron nun beinahe vor Schreck und tödtlicher Verlegenheit vom Pferde gefallen. War es die Menschen­möglichkeit! Seine Frau hielt einen Meldereiter im Dienst auf, um „'mal zu schreiben”

Ohne auch nur einen Blick auf den unglückseligen Brief zu werfen, ließ er ihn eilig zwischen dem vierten und fünften Uniformknopf verschwinden und schielte nach dem alten Herrn, um zu sehen, ob die Meldung vom äußersten Flügel ihn vielleicht etwas besänftigte.

Und das schien in der That der Fall. Zuerst stutzte der General — dann aber legte er das gestrenge Antlitz in ganz vergnügte Falten. Und diesen Ausdruck hielt er bei, als er dem konsternirten Baron den Brief überreichte.

„Thut mir leid, lieber Baron — kleine Verwechselung. Changez les lettres!”

Ernst von Edem sah sich nach einem mitleidigen Erdspalt um, als er beim Scheine der kleinen elektrischen Manöverleuchte folgendes las:

„Lieber, Süßer, Einziger, Guter, Bester! Es wäre alles in Ordnung und mein Gewissen frei, wenn du den Brummbaß von General herumkriegen könntest, daß Maria heirathen darf. Sie liebt nämlich auch furchtbar, und zwar den Rittmeister von Bensberg. Sie hätte schon längst vor mir ihren Schwur gebrochen, wenn sie nur gekonnt hätte. Aber der Alte will nicht, weil der Bensberg Schulden haben soll. Maria meint, das wäre gar nicht so schlimm. Fritz Bensberg spart jetzt sogar. Er hat schon achthundert Mark zusammen von einem Pferd, das er neulich verkauft hat. Du könntest das dem General 'mal untern Fuß geben. Und wenn er gar nicht will, dann sagst Du, er soll es doch schon mir zu Gefallen thun. Dann thut er's. Uebrigens sind es jetzt sechzehn (!) halbe Stunden her, seit ich keinen Kuß bekomen habe. Ich bange mich schrecklich. Und gehe nicht so dicht 'ran, wenn geschossen wird, hörst Du?!

Dein Fisch.”

*           *           *

„Na, nun machen Sie nur nicht so 'n Bedeppten, lieber Baron”, ließ sich der General munter und aufgeräumt vernehmen. „Oberst von Bloch meldet mir, daß die Besetzung des Flußüberganges durch eine Bravourleistung der Bensberg'schen Eskadron glänzend gelungen ist. Steckt doch ein schneidiger Kern in dem Bensberg. Werde mir die Geschichte überlegen — Frau Gemahlin zuliebe. War mir übrigens interessant, daß meine Maria das Heirathen auch verschworen hatte. Das ist so mit den Weibsleuten: sie schwörens ab, solange sie noch keinen wissen, oder den Richtigen nicht kriegen können!”

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